Ende Mai 2023 hat die Regierung den zweiten Teil der Pflegereform auf den Weg gebracht. Die insgesamt 18 Maßnahmen umfassen unter anderem Vereinfachungen in der 24-Stunden-Betreuung, mehr Kompetenzen für Pflegekräfte, eine höhere Durchlässigkeit in der Pflegeausbildung und Erleichterungen für Pflegepersonal aus dem Ausland. Hilfsorganisationen bemängeln allerdings, dass einige wesentliche Punkte offen bleiben. Der folgende Artikel bietet einen Überblick über die Neuerungen der Pflegereform 2.0.
Die wichtigsten Neuerungen im Überblick
Ziel der Pflegereform ist es, bessere Bedingungen für Pflegebedürftige, Personen aus verschiedenen Pflegeberufen, pflegende Angehörige und Auszubildende zu schaffen. Der erste Teil trat im Jahr 2022 in Kraft. Die insgesamt 20 Maßnahmen umfassen einen Etat von 1 Milliarde Euro und brachten unter anderem einen finanziellen Gehaltsbonus für Beschäftigte in der Pflege sowie mehr Geld für pflegende Angehörige.
Am 24. Mai 2023 wurden die 18 Maßnahmen des zweiten Teils der Pflegereform vorgestellt. Das sind die wichtigsten Neuerungen des Updates:
Mehr finanzielle Unterstützung für die 24-Stunden-Betreuung
Die finanzielle Förderung für die 24-Stunden-Betreuung von Pflegebedürftigen steigt um 25 Prozent von bislang 640 Euro auf 800 Euro bei zwei Betreuern/-innen. Selbstständige Betreuer/innen dürfen zudem künftig bis zu drei Personen in einem Haushalt betreuen, auch wenn kein Verwandtschaftsverhältnis zwischen diesen besteht.
Weitere Verbesserungen in der 24-Stunden-Betreuung sollen die folgenden Maßnahmen bringen:
- Ausweitung der Hausbesuche durch diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal auf bis zu vier Besuche im Jahr.
- Ausbau eines österreichweiten Angebotes an Beratungsstellen, wie sie bisher in Wien, Linz und Graz zur Verfügung stehen.
- Kostenlose Supervisionsangebote und multilinguale e-Learning-Plattformen für 24-Stunden-Betreuer/innen.
- Neue Vorgaben für mehr Transparenz bei der Abrechnung durch Agenturen.
Mehr Kompetenzen für Gesundheits- und Krankenpflegekräfte
Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger (DGKP) sollen mehr Kompetenzen erhalten. So dürfen Pflegekräfte künftig bestimmte Medizinprodukte wie Inkontinenzbedarf selbst verordnen, ohne Rücksprache mit einem/-r Arzt/Ärztin. Weiterhin soll es Pflegekräften ermöglicht werden, die Ersteinstufungen für das Pflegegeld vorzunehmen. Dadurch soll sich die Wartezeit auf das Pflegegeld verkürzen.
Mehr Durchlässigkeit in der Pflegeausbildung
Um dem Fachkräftemangel in der Pflege auszugleichen, soll Angehörigen der Pflegeassistenzberufe (PFA) der Zugang zur verkürzten Diplomausbildung erleichtert werden. Sie müssen künftig keine zweijährige Berufserfahrung mehr nachweisen. DGKPs, die ihren Abschluss an Gesundheits- und Krankenpflegeschulen erhalten haben, sollen einfacher den FH-Bachelorgrad an einer Fachhochschule erwerben können. Die Anrechnungsmöglichkeiten auf die Bachelor-Möglichkeiten werden erweitert. Damit steht DGKPs auch der Zugang zum Masterstudium offen.
Grundausbildung Pflege für Zivildienstleistende
Zivildiener erhalten in Zukunft die Möglichkeit, eine freiwillige Grundausbildung Pflege zu absolvieren. Das sogenannte UVB-Modul (Unterstützung in der Basisversorgung) ist bereits jetzt Bestandteil verschiedener Berufe wie etwa bei Heimhelfern/-innen und Diplom-Sozialbetreuern/-innen. Es umfasst einen theoretischen Teil mit 100 Unterrichtseinheiten und 40 Stunden praktische Ausbildung. Das UVB-Modul für Zivildiener soll auf die Pflegeausbildung angerechnet werden können.
Erleichterungen bei Nostrifikationen
Pflegekräfte aus dem Ausland leisten ebenfalls einen wichtigen Beitrag dazu, den Fachkräftemangel in der Pflege abzumildern. Damit sie schneller in den Beruf starten können, sieht der zweite Teil der Pflegereform massive Erleichterungen bei den Nostrifikationen zu. Statt wie bisher das Stundenausmaß der Fächer in der ausländischen Ausbildung zu beurteilen, werden die Gesamtqualifikation und Berufserfahrung herangezogen. Im Ausland ausgebildete Pflegeassistenten/-innen (PA) dürfen zudem künftig bereits während des Nostrifikationsprozesses unter Anleitung in ihrem Beruf weiterarbeiten.
Neuerungen für pflegende Angehörige
Der zweite Teil der Pflegereform bringt auch Verbesserungen für pflegende Angehörige mit sich. So erhöht sich der Angehörigenbonus im Jahr 2023 auf 750 Euro. Für 2024 gibt es beim Angehörigenbonus zahlreiche Neuerungen! Denn ab 2024 steigt er auf 1.500 Euro, sofern sich Angehörige in der Pensionsversicherung selbst- bzw. weiterversichert haben. Bezugsberechtigte müssen zudem nicht mehr zwangsläufig in einem gemeinsamen Haushalt mit den Pflegebedürftigen leben. Die kostenlosen Angehörigengespräche sollen fünf Gesprächsterminen im Jahr auf bis zu zehn Termine erhöht werden. Darüber hinaus soll eine breite Informationskampagne unter den sogenannten Young Carers ausgerollt werden, um sie auf bestehende Unterstützungsangebote wie die “YoungCarers Austria App” aufmerksam zu machen.
Für Eltern und Bezugspersonen besteht zudem künftig ein Rechtsanspruch auf Begleitung bei der Kinderreha. Selbstständige bekommen die Möglichkeit, eine Pflege- bzw. Familienhospizkarenz inklusive Pflegekarenzgeld in Anspruch zu nehmen, um sterbende Angehörige oder schwersterkrankte Kinder zu begleiten.
Pflegereform Teil II: Diese Punkte sind noch offen
Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und die Österreichische Volkspartei (ÖVP) zeigen sich mit den getroffenen Maßnahmen zufrieden. Auch der Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV) sieht seine Kernforderungen erfüllt. Kritisch bewertet der Verband allerdings die Teilbarkeit der 24-Stunden-Betreuung, da es sich bei den Betreuer/innen, die künftig für bis zu drei Personen verantwortlich sein sollen, um Laien handelt. Der ÖGKV fordert daher, die Betreuung unter fachlicher Aufsicht von DGKPs umzusetzen.
Den kirchlichen Hilfsorganisationen Diakonie und Caritas zufolge lässt der Maßnahmenkatalog wesentliche Punkte offen. Von einem wirklichen zweiten Teil der Pflegereform könne man daher nicht sprechen. Vielmehr handele es sich um Ergänzungen zum Reformpaket von 2022.
Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser beurteilt die geplanten Verbesserungen bei der Nostrifizierung und die erweiterten Kompetenzen für DGKPs als positiv. Das Plus an finanzieller Förderung für die 24-Stunden-Betreuung werde immerhin die Betroffenen freuen. Bei der 24-Stunden-Betreuung handele es sich allerdings um eine Nische, die nur von fünf Prozent der insgesamt 500.000 Pflegegeld-Bezieher/innen in Österreich in Anspruch genommen wird. Der Pflege-daheim-Bonus für Angehörige berge zudem die Gefahr, die Pflege zu stark auf die Familie auszulagern. Der Ausbau von Unterstützungsangeboten zur Entlastung pflegender Angehöriger, etwa von flächendeckenden wohnortnahen Pflegedienstleistungen, fehle in der Reform. Die Diakonie kritisiert weiterhin die Entweder-Oder-Lösungen des österreichischen Pflegesystems, in dem sich Pflegebedürftige zwischen Pflegeheim und mobiler Pflege entscheiden müssen. Statt Einzelmaßnahmen wünscht sich Moser eine grundlegende Reform dieses Systems.
Die Caritas schließt sich der Einschätzung der Diakonie an. Die katholische Hilfsorganisation vermisst ein strukturelles Umdenken des Pflegesystems und fordert darüber hinaus eine österreichweite Harmonisierung der Pflege- und Betreuungslandschaft sowie Pläne für eine langfristige Finanzierung der im ersten Reformpaket gesetzten Neuerungen. Die Finanzierung mehrerer Maßnahmen läuft Ende 2023 aus.