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Der Weltbrailletag feiert jedes Jahr am vierten Jänner die Erfindung der Brailleschrift. Benannt ist sie nach ihrem Erfinder Louis Braille. Die Blindenschrift basiert auf einem System aus sechs Punkten. Dieses Punktschriftsystem ermöglicht es, blinden und sehbehinderten Menschen Texte mit ihren Fingern zu ertasten und so Bücher, Zeitschriften und wichtige Informationen zu lesen. Auf diese Weise leistet die Blindenschrift einen wichtigen Beitrag zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Wie kam es zur Entwicklung der Braille-Schrift? Wie funktioniert das Punktschriftsystem aus Punkte-Kombinationen? Wo lässt sich die Blindenschrift erlernen? Diese und weitere Fragen beantwortet der folgende Artikel.
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Louis Braille – Der Entwickler der Brailleschrift
Nach Schätzung des Blinden- und Sehbehindertenverbands Österreich (BSVÖ) sind hierzulande rund 3,4 Prozent der Bevölkerung von Blindheit oder Sehbehinderung betroffen. Das entspricht etwa 300.000 Menschen. Die Blindenschrift ermöglicht es einem Braille-Leser, trotz vollständiger oder teilweiser Erblindung einen Text zu lesen.
Entwickelt wurde die Brailleschrift vom Franzosen Louis Braille (04.01.1809 bis 16.01.1852), dem sie auch ihren Namen verdankt. Im Alter von drei Jahren verletzt sich Louis Braille beim Spielen in der Werkstatt seines Vaters am Auge. Die Verletzung entzündet sich, die Entzündung greift auch auf das andere Auge über und Braille erblindet. Der Junge möchte dennoch am normalen Leben teilhaben, besucht die Dorfschule und lernt rechnen und schreiben. Um auch lesen zu können, beginnt er mit 13 Jahren damit, ein eigenes Schriftsystem zu entwickeln.
Inspiration für seine Blindenschrift erhält der Franzose unter anderem in der Blindenschule von Valentin Haüy. Dort lernt er ein Schriftsystem kennen, das auf einem Setzkasten basiert und ursprünglich für die blinde Komponistin, Pianistin und Musikpädagogin Maria Theresia Paradis entwickelt wurde. Haüy nutzt ähnliche Gerätschaften wie Paradis, um bewegliche Buchstaben und Noten auf Papier zu prägen. Braille versucht, diese Schrift zu vereinfachen.
Als Orientierung dient Braille die vom Artilleriehauptmann Charles Barbier erfundene “Nachtschrift”, die mittels Punkten verschiedene Silben darstellt. Jener ersetzt die Silben durch Buchstaben und reduziert die Anzahl der Punkte pro Zeile von zwölf auf sechs. Im Jahr 1825, im Alter von nur 16 Jahren, entwickelt er so sein eigenes Punktschriftsystem. Diese Leistung würdigt der jährlich zu Brailles Geburtstag am 4. Jänner begangene Weltbrailletag.
Brailleschrift: Schriftsystem aus sechs Punkten
Wie funktioniert die Brailleschrift nun genau? Grundlage bildet ein Raster aus sechs Punkten, die in zwei senkrechten Reihen zu drei Punkten nebeneinander angeordnet werden. Dieses Raster wird erhaben ins Papier gestanzt und lässt sich mit dem Finger ertasten. Die Punkte werden nummeriert. Links oben im Raster befindet sich Punkt 1, darunter Punkt 2, links unten folgt Punkt 3. Rechts oben ist Punkt 4 angeordnet, darunter Punkt 5 und Punkt 6. Mittels dieser binären 6-Bit-Codierung lassen sich insgesamt 64 Braille-Zeichen darstellen. Steht Punkt 1 allein, symbolisiert dies zum Beispiel den Buchstaben “a”. Punkt 1 und 2 ergeben den Buchstaben “b”, Punkt 1 und 4 den Buchstaben “c”.
Eigenheiten der Blindenschrift im Vergleich zur Schwarzschrift
Aus Gründen der Einfachheit wird bei der Brailleschrift auf Großschreibung verzichtet. Mittels eines speziellen Vorzeichens lässt sich jedoch darstellen, wenn ein Buchstabe im Ausgangstext groß geschrieben wurde. Mithilfe solcher Vorzeichen lassen sich auch Zahlen darstellen. Für die Zahlen 1 bis 10 verwendet man die Buchstaben “a” bis “j” mit einem vorgesetzten “Zahlenzeichen”.
Brailleschrift international
Heute wird die Brailleschrift international verwendet. Alle Sprachen, für die es auf der Welt Schriftzeichen gibt, lassen sich auch im Punktschriftsystem darstellen. So gibt es zum Beispiel eigene Punktkombinationen für das russische oder das chinesische Alphabet sowie für verschiedene Umlaute. Spezielle Brailleschriften gibt es auch für die unterschiedlichen Fachsprachen, zum Beispiel für Mathematik, Chemie und Musiknoten.
Brailleschrift schreiben: Punktschriftmaschinen und -tafeln
Bereits seit 1880 gibt es spezielle Schreibmaschinen für die Brailleschrift, die man als Punktschriftmaschinen bezeichnet. Bei diesen Maschinen ist jedem Punkt eine Taste zugeordnet. Möchte man einen Buchstaben zu Papier bringen, drückt man die entsprechenden Tasten, die der Punktecodierung entsprechen.
Eine weitere Möglichkeit, in Brailleschrift zu schreiben, stellt eine Punktschrifttafel dar. Mithilfe dieser Tafel sticht man die Buchstaben seitenverkehrt, von links nach rechts, ins Papier. (Fast) blinde Menschen können dann die Formen und Buchstabenkombinationen mit den Fingerspitzen erfühlen und somit lesen.
Das Schreiben mit den Tafeln ist wesentlich langsamer und aufwendiger als die Verwendung von Punktschriftmaschinen, heute werden sie daher seltener verwendet. Sie eignen sich aber dazu, um privat als Sehender einen Brief an einen Blinden zu schreiben, ohne in eine Punktschriftmaschine investieren zu machen. Auch um sich unterwegs kurze Notizen zu machen, kommen weiterhin kleine Stanz-Schablonen zum Einsatz.
Braillezeile für das Schreiben am Computer
Für die Arbeit am Computer steht seit den 1980er Jahren die sogenannte Braillezeile zur Verfügung. Das Hilfsmittel wird an den Computer angeschlossen. Eine Vorlese-Software liest die Zeichen aus, anschließend ragen kleine Stifte aus dem Gehäuse der Braillezeile hervor und stellen die Zeichen in Blindenschrift dar. Anwender ertasten die Oberfläche der Stifte mit ihren Fingerkuppen.
Da die Arbeit am Computer häufig etwas mehr Zeichen erfordert, als sich durch die Kombination von sechs Punkten darstellen lassen, wurde ein spezielles Computerbraille entwickelt. Diese Schrift enthält in den vertikalen Reihen je einen zusätzlichen Punkt, also vier statt drei. Mittels eines Brailledruckers lassen sich Texte auch in Blindenschrift ausdrucken.
Auswirkungen der Braillezeile
Durch diesen Meilenstein erhält auch ein (fast) blinder Mensch Zugang zur digitalisierten Welt sowie vor allem die Möglichkeit, Bürotätigkeiten nachzugehen. Auch für das kreative Schreiben Sehbeeinträchtigter ist die Braillezeile eine unerlässliche Basis.
Varianten der Brailleschrift
Um schneller in Brailleschrift schreiben zu können, wurden im Laufe der Jahre verschiedene Verkürzungsformen eingeführt. Die gängigen Blindenschrift-Varianten im deutschen Sprachraum sind:
Schriftart | Charakteristika |
Basisschrift | Ein Buchstabe entspricht einem Braillezeichen, Großbuchstaben, Ziffern und Akzentbuchstaben werden durch bestimmte Vorzeichen gekennzeichnet. |
Deutsche Vollschrift | Ergänzt die Basisschrift um eigene Braillezeichen für acht häufig verwendete Buchstabengruppen der deutschen Sprache (au, ei, eu, äu, ie, sch, st). Wird auch als Literaturbraille bezeichnet. |
Kurzschrift | Die Kurzschrift lässt sich mit der Stenografie der “Schwarzschrift” für sehende Menschen vergleichen und verkürzt Texte um etwa 30 bis 40 Prozent. |
Blindenstenografie | Wird verwendet, um gesprochene Sprache mitzuschreiben, und folgt einem komplexen Regelwerk. |
Blindenschrift-Übersetzung für Sehende
Möchten Sehende Menschen die Brailleschrift kennenlernen, können sie spezielle Blindenschrift-Übersetzer im Internet nutzen. Die Programme setzen wahlweise Texte in Braille um oder stellen Braille als Buchstaben dar.
Standards für die Blindenschrift
Die Brailleschrift wird für eine Vielzahl von Medien genutzt, unter anderem für Bücher und Zeitschriften. Damit sich die Punkte zuverlässig mit dem Finger ertasten lassen, müssen beim Druck der Blindenschrift bestimmte Mindestmaße eingehalten werden. Als empfohlener Standard gilt der als “Marburger Medium” bezeichnete Marburger Mittelpunktdruck. Er gibt den Punktabstand, die Punkthöhe und die Punktform des Braille-Rasters vor.
Der relativ hohe Platzbedarf des Braille-Rasters führt dazu, dass Bücher in Blindenschrift für gewöhnlich im Format 27 cm x 34 cm herausgegeben werden und sind damit wesentlich dicker als die Darstellung in Schwarzschrift. Viele Blinde und Sehbehinderte geben daher Audiobüchern den Vorzug.
Auf der Suche nach Literatur in Blindenschrift?
Literatur in Punktschrift erhält man in Österreich beim Bundesblindeninstitut in Wien und am Odilien-Institut in Graz. In Büchereien und Bibliotheken ist das Angebot heute eher eine Nische.
Braille auf Arzneimittelpackungen: Vorgaben in Österreich
Nicht nur Literatur, auch wichtige Informationen werden in Brailleschrift zugänglich gemacht. Dazu gehören etwa Kennzeichnungen im öffentlichen Raum sowie Name und Wirkungsstärke von Arzneimitteln auf der jeweiligen Verpackung.
Die Angabe des Medikamentennamens sowie der Stärke ist gemäß Arzneimittelgesetz verpflichtend (§17(5) AMG). Ausgenommen sind Desensibilisierungsmittel nach §7a sowie registrierte homöopathische Arzneimittel. Der Handelsname des Arzneimittels und die Wirkungsstärke in Blindenschrift müssen dabei stets auf der Außenkennzeichnung angebracht werden. Dabei darf die Prägung der Schriften das Obermaterial nicht zerstören und nicht die Lesbarkeit des darunterliegenden Textes beeinflussen.
Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) empfiehlt, für die Kennzeichnung von Arzneimittelverpackungen Blindenvollschrift (Literaturbraille) zu verwenden. Damit blinde und sehbehinderte Personen auch Zugriff auf die Gebrauchsinformationen erhalten, sollten die Wörter entweder in größerer Schrift oder als Audiodatei zur Verfügung gestellt werden.
Brailleschrift lernen – Kommunikationswege erschließen
Es ist relativ schwierig, sich die Blindenschrift selbst beizubringen. Von Geburt an blinde oder sehbehinderte Kinder erlernen das Punktschriftsystem in der Regel in speziellen Schulen, zum Beispiel am Odilien-Institut. An einigen Regelschulen sind auch spezielle Integrationslehrer tätig, die im Unterricht der Blindenschrift geschult sind und die Systeme und Muster vermitteln.
Kurse für Personen, die erst später im Leben erblindet sind oder eine Sehschwäche entwickelt haben, werden unter anderem vom Bundesblindenerziehungsinstitut in Wien und der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreich, ebenfalls mit Sitz in Wien, angeboten. Es gibt Kurse für Vollschrift und Kurzschrift.
Wer die Blindenschrift unterrichten möchte, erhält bei diesen Instituten auch Informationen über entsprechende Fortbildungen. Voraussetzung sind für gewöhnlich ein vorangegangenes Lehramtsstudium und einschlägige Berufserfahrung. Weiterbildungen zum Lehrer für Brailleschrift stehen meist auch sehenden Menschen offen. Einige Lehranstalten bevorzugen allerdings die Arbeit mit blindem und sehbehindertem Personal.
Stellenangebote im Gesundheitswesen finden
Für alle, die noch auf der Suche nach einem passenden Stellenangebot im Gesundheitswesen sind, gibt es hier auf Medi-Karriere in der Stellenbörse eine große Auswahl. Unter den Inseraten finden sich zum Beispiel Hebamme-Jobs, Stellen für Psychotherapeuten sowie Verwaltung-Stellenangebote.
1. ARD alpha, Louis Braille und die Blindenschrift, https://www.ardalpha.de/wissen/geschichte/kulturgeschichte/braille-blindenschrift-brailleschrift-blind-100.html (Abrufdatum: 05.12.2022).
2. CBM, Chrsitoffel Blindenmission, Blindenschrift-Übersetzer, – https://www.cbm.de/behinderung-und-sprache/blindenschrift-braille/blindenschrift-uebersetzer.html (Abrufdatum: 05.12.2022).
3. Brailleschriftkomitee der deutschsprachigen Länder BSKDL, Deutsche Brailleschriftsysteme,
http://www.bskdl.org/braillesysteme.html (Abrufdatum: 05.12.2022).
4. Verband für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik e.V., Schulen in Österreich, https://www.vbs.eu/de/links-und-adressen/list/!/category/2/country/at/ (Abrufdatum: 05.12.2022).